Aktuelle Schollenbewegung in Mitteleuropa, gemessen mit GPS

Viele Informationen über die Entstehung des Oberrheingrabens stammen aus sehr alten Gesteinen. Die aktuelle Bewegungssituation im Grabenbereich kann seit einigen Jahrzehnten durch die Auswertung von Erdbeben und durch Präzisions-Nivellements beobachtet werden. Seit einigen Jahren ist es nun auch möglich, aktuelle horizontale Bewegungen der Erdkruste mit dem Global-Positioning-System (GPS) zu messen.

Meistens verwendet man das GPS um die geografische Position in Länge und Breite beim Reisen zu bestimmen. Stellt man aber einen GPS-Präzisions-Empfänger an einem Ort fest auf und misst jahrelang die geografische Position, wird man eine Wanderung des Ortes feststellen. Die folgende Abbildung 1 zeigt als Beispiel eine Messreihe über mehr als zehn Jahre.

Zeitreihe der geografischen Position (GPS)

Abb. 1: Die Zeitreihe der geografischen Position der Station Potsdam nach GPS-Messwerten zeigt eine Ortsverschiebung von 2,4 cm pro Jahr nach Nordosten.

 

Diese Art von GPS-Messungen an festen Orten werden weltweit an mehreren Tausend Stellen durchgeführt. Inzwischen gibt es recht viele GPS-Stationen, mit denen eine verlässliche mehrjährige Zeitreihe ermittelt wurde. Das Ergebnis dieser Messungen zeigt die folgende Abbildung 2.

Weltkarte der Ortsverschiebung nach GPS-Daten

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Abb. 2: Weltkarte der Ortsverschiebung, gemessen mit GPS-Empfängern. Unterlegt ist die Gliederung der Erde in ihre tektonischen Platten. Die schwarzen Pfeile zeigen die Richtung und mit ihrer Länge die Geschwindigkeit der Ortsverschiebung an.

 

Die Weltkarte der Ortsverschiebung zeigt im Wesentlichen für jede tektonische Platte eine gleichförmige Bewegung mit einer Geschwindigkeit von einigen Zentimetern pro Jahr. Für die eurasische und die nordamerikanische Platte ergibt sich eine deutlich zu erkennende Drehbewegung. In erster Näherung kann man also von starren Platten ausgehen, die sich in eine bestimmte Richtung bewegen. Da sich die Plattengeschwindigkeiten nach Betrag und Richtung deutlich unterscheiden, kommt es an den Plattengrenzen zwangsläufig zu Störungen: an den bekannten Ozeanboden-Spreizungsachsen streben die Platten auseinander, an den Subduktionszonen gleiten Sie übereinander hinweg und an Transformstörungen gleiten sie seitlich aneinander vorbei.

 

Unterschiedliche Ortsverschiebung in Innern einer Platte

Aus allen Ortsverschiebungen auf einer Platte kann man die mittlere Bewegung der gesamten als starr betrachteten Platte ableiten. Solch eine gleichförmige Plattenbewegung auf der Erdkugel ist eine Drehung um eine Achse durch den Erdmittelpunkt. Ein Durchstoßpunkt dieser Achse auf der Erdoberfläche wird Euler-Pol genannt. Der Euler-Pol für Eurasien liegt bei etwa 58° nördlicher Breite und 99° westlicher Länge in Manitoba, Kanada. Die Winkelgeschwindigkeit für diese Drehbewegung beträgt 0,26° im Uhrzeigersinn in einer Million Jahre (Altamimi et al. 2002). Mit solch einer Angabe kann man nun für jeden Punkt auf der Platte seine Soll-Verschiebungsgeschwindigkeit berechnen.

Vergleicht man für eine Messstation die gemessene Ortsverschiebung mit der berechneten Soll-Verschiebung, so wird man kleine Unterschiede feststellen. Diese Unterschiede sind zunächst die unvermeidlichen Messungenauigkeiten. Nach mehrjähriger Messung ergeben sich jedoch signifikante Abweichungen vom Sollwert. Dies sind Ortsverschiebungen innerhalb der Platte, denn die Platte ist in Wahrheit nicht vollkommen starr. Die folgende Abbildung 3 zeigt, wie man die platteninterne Ortsverschiebung für eine bestimmte Station ermittelt.

Skizze für die Ermittlung der platteninternen Verschiebung

Abb. 3: Ermittlung der platteninternen Ortsverschiebung aus der gemessenen Ortsverschiebung. Die Soll-Verschiebung wird mit Hilfe des Euler-Pols der Platte berechnet.

 

Diese platteninternen Ortsverschiebungen wurden nun von Tesauro et al. (2005) für eine Reihe von GPS-Stationen bestimmt, für die mehrjährige Messreihen vorliegen. Die Stationen gehören zu verschiedenen GPS-Netzwerken: dem europäischen EPN (European Reference Frame Permanent Network), dem AGNES (Automatisches GPS Netz Schweiz), REGAL (GPS-Permanent-Netzwerk der französischen Alpen) und dem französischen RGP (Reseau GPS Permanent). Das Ergebnis der Auswertung zeigt die folgende Karte.

Mitteleuropakarte mit platteninterner Ortsverschiebung nach GPS-Daten

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Abb. 4: Mitteleuropa-Karte mit den platteninternen Ortsverschiebungen von GPS-Messstationen nach Tesauro et al. (2005).

Die Karte der Abbildung 4 zeigt, dass sich die Messstationen östlich von 4° Länge im Allgemeinen nach Nordwesten bewegen. Die Geschwindigkeiten schwanken zwischen 0,1 und 2,9 mm pro Jahr. Die größte Geschwindigkeit wird an der Station Pfänder bei Bregenz am Bodensee gemessen. Abweichende Richtungen in der Schweiz werden auf lokale Effekte zurückgeführt. Im Oberrheingraben liegen die Stationen Karlsruhe (0,8 mm/Jahr nach Norden) und Straßburg (0,3 mm/Jahr nach Nordwesten). Die Stationen westlich von 4° Länge bewegen sich dagegen im Allgemeinen nach Süden bis Südwesten mit einer Geschwindigkeit von 0,5 bis 1,5 mm pro Jahr.

Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten führen zu Spannungen und Verformungen der Erdkruste. Manche Bereiche werden gestaucht, andere gestreckt oder geschert. Die flächenhaft interpolierte Auswertung der GPS-Daten ergibt die größten Stauchungen im Bereich Konstanz - Ulm. Hier drückt der schnelle Alpenkörper nach Nordwesten auf sein langsames Vorland. Eine weitere bedeutende Stauchung wird im Bereich der Walliser und Berner Alpen in der südwestlichen Schweiz beobachtet. Die größten Dehnungen werden in der Zentralschweiz und im westlichen Österreich festgestellt. Hier eilen die nördlichen Alpen den südlichen Alpen voraus und zerren den Raum dazwischen auseinander. Für den Bereich des Oberrheingrabens ergibt die Auswertung der GPS-Daten keine signifikanten Verformungen.

 

Erdbeben

Eine Auswirkung von Spannungen in der Erdkruste sind Erdbeben. Es bietet sich deshalb an, die GPS-Ergebnisse mit beobachteten Erdbeben zu vergleichen.

Karte der Erdbebenherde

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Abb. 5: Karte der Erdbebenherde in Mitteleuropa. Neben natürlichen Erdbeben sind auch künstliche Erdbeben verzeichnet, die durch Bergbau ausgelöst werden, wie z.B. im Ruhrgebiet, im Saarland und in Polen.

 

Die Abbildung 5 zeigt die Verteilung von Erdbeben in Mitteleuropa. Die Erdbebendaten stammen vom National Earthquake Information Center der USA (NEIC), das solche Daten weltweit sammelt und veröffentlicht. In der Karte erkennt man eine Häufung von Erdbeben in den jungen Faltengebirgen der Alpen, des Appenins und der Pyrenäen. Weiterhin liegt eine markante Erdbebenhäufung südwestlich einer Linie, die sich vom Zentralmassiv bis in die Bretagne erstreckt. Im südlichen Oberrheingraben und im südlich anschließenden Jura gibt es ebenfalls eine erhöhte Anzahl von Erdbeben. Im Oberrheingraben selbst erstreckt sich eine Kette von Erdbebenherden vom Süden bis in den Raum Frankfurt am Main. Der Herd der meisten Erdbeben in obiger Karte liegt in einer Tiefe um 10 km unter der Erdoberfläche.

Eine Erdbeben-Übersichtskarte von ganz Europa finden sie hier.

Bei einem Erdbeben verschieben sich Gesteinsschollen. Geophysiker bestimmen bei einem Beben den Ort an der Erdoberfäche und seine Tiefe. Weiterhin kann die sogenannte Herdflächenlösung festgestellt werden. Sie gibt die räumliche Lage der Bruchebene und die Verschiebungsrichtung der Gesteinsschollen an. Man wertet dazu die ersten Bewegungen in räumlich gleichmäßig um das Beben verteilten Messstationen aus.

Grundlegende Arten der Verschiebung

Abb. 6: Grundlegende Arten der Verschiebung von Gesteinsschollen.

 

Aus der Art der Verschiebung im Erdbebenherd kann auf das Spannungsfeld geschlossen werden, das das Erdbeben verursacht hat. Nach Tesauro et al. (2005) passen die GPS-Daten gut zu den Abschiebungen in der Niederrheinischen Bucht, die eine Dehnung in diesem Bereich anzeigen. Ebenso stimmen die GPS-Daten mit der rechtssinnigen Seitenverschiebung parallel zur Erstreckung der zentralen Alpen überein, die aus Erdbebendaten ermittelt wurde. Die Dehnung entlang des Alpenbogens, die aus Erdbebendaten ermittelt wurde, spiegelt sich aber in den GPS-Daten nicht wieder. Im weiteren nördlichen Vorland der Alpen ergeben Herdflächenlösungen eine Nordwest-Südost orientierte Stauchung, im Oberrheingraben vorwiegend in Form von Seitenverschiebungen. Im Norden gibt es noch zu wenige GPS-Daten für einen Vergleich.

 

Das Vier-Blöcke-Modell

Zur Simulation der tektonischen Bewegungen in Mittel- und Westeuropa schlagen Tesauro et al. (2005) die Aufteilung in vier starre Blöcke vor, die sich im Wesentlichen nur an ihren Grenzen gegeneinander bewegen können. Die Grenzen der Blöcke wurden nach den gemittelten GPS-Daten und nach der Verteilung von Erdbeben und Störungen festgelegt. Den A- und B-Block teilen die Alpen. Den C- und D-Block teilt die Erdbebenzone zwischen Zentralmassiv und Bretagne. Die Grenze zwischen dem A-Block und den beiden westlichen Blöcken C und D bildet die Zone aus Rhone-Bresse-Senke, Oberrheingraben und Niederrheinischer Bucht.

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Abb. 7: Die Aufteilung von West- und Mitteleuropa in die vier starren Blöcke A, B, C und D. Die verallgemeinerten Blockgrenzen sind violett eingezeichnet. Nach den gemittelten GPS-Daten bewegen sich die Blöcke mit etwa 0,6 mm pro Jahr in Richtung der eingezeichneten gelben Pfeilen.

 

Aus den gemittelten GPS-Daten ergibt sich für die Blöcke A und B die gleiche Bewegungsrichtung nach Nordnordwest. Der Block C bewegt sich hingegen nach Westsüdwest und der Block D nach Südsüdost.

Tesauro et al. (2005) haben die Verformung mit dem Vier-Blöcke-Modell neu berechnet. Sie ermittelten für den südlichen Oberrheingraben eine Stauchung in Nordwest-Südost-Richtung und für den nördlichen Oberrheingraben eine Dehnung in Ost-West-Richtung. Entlang der Grenzen des Oberrheingrabens ergibt sich eine linkssinnige Scherung. Diese Ergebnisse stimmen mit den Herdflächenlösungen von Erdbeben und der allgemeinen tektonischen Situation in diesen Bereichen überein.

 

Schlussbemerkung

Die gemessenen Geschwindigkeiten im Bereich um 1 mm pro Jahr sind winzig klein und liegen teilweise nahe an der Nachweisgrenze. In großen Teilen von Europa gibt es bislang nur wenige Messstationen. In den nächsten Jahren werden längere Messreihen und ein dichteres Netz von Messstationen zu wesentlich verbesserten Resultaten führen.

Der Oberrheingraben
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