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13. Tektonik

13.1. Die tektonischen Großeinheiten

AHLBURG bzw. KEGEL (1922) gliedert auf seinem tektonischen Deckblatt zur geologischen Karte das SW-Ende der Lahnmulde in zwei Teilmulden: eine SE-liche Hahnstättener Mulde und eine NW gelegene Schaumburger Mulde. Die letztere wird wiederum von SE nach NW in die Holzheimer Spezialmulde, den Wasenbacher Sattel, die Balduinsteiner Spezialmulde und den Fachinger Sattel unterteilt. HANNAK (1957) bezeichnet die nördlichste Mulde der "Lahnmulde" als Balduinsteiner Mulde. Diese streicht fast geradlinig nach SW weiter über das Dörsbachtal in das Mühlbachtal N der Käs-Mühle hinein. PAULY (1958) definiert die Schaumburger Mulde als nördliche Teilmulde in der Schaumburg liegt. Mit Balduinstein sind kleinere tektonische Einheiten auf dem N-Flügel der Schaumburger Mulde zu verbinden. SPERLING (1958) benutzt die Schaumburger Mulde als nördlichste Teilmulde der SW-lichen Lahnmulde. REQUADT (1975) weist im Bereich der Schaumburger Mulde mit Conodontenfaunen oberdevonische Schiefer und Kalke bis zur Nehden-Stufe nach. Diese werden an zwei Vorkommen in streichender Erstreckung durch tektonischen Kontakt von älteren Gesteinen überlagert. Der Begriff Schaumburger Mulde im Sinne von PAULY (1958) wird fallengelassen und wegen der regionalen Bedeutung die Schaumburger Überschiebung eingeführt. Diese lässt sich aber nicht bis zum S-Rand des Blattes Schaumburg verfolgen sondern löst sich schon vorher in Falten auf (REQUADT mündl. Mitteilung). Für das Arbeitsgebiet bleibt festzuhalten, dass das Mühlbachtal in streichender SW-licher Verlängerung einer bedeutenden tektonischen Struktur der Lahnmulde liegt. Aufgabe musste es also sein zu klären, ob die Geländeaufnahme im Mühlbachtal Spuren dieser tektonischen Struktur nachweisen kann. HANNAK (1957) erwähnt aus dem Mühlbachtal noch weitere tektonische Großeinheiten:

1.) NW-Flanke der Balduinsteiner Mulde. Im Bereich des Mühlbachtals bewirkt ein steiles NNE-Streichen und ein steileres Achsenabtauchen eine stärkere Muldenöffnung nach E. Er erwähnt aus diesem Bereich auch zwei Kleinfaltenzonen, die zwar ohne Einfluss auf die Großstrukturen sind, aber durch ihre lange, streichende Erstreckung parallel der Balduinsteiner Mulde, vom Mühlbachtal bis zu HANNAKs E Kartenrand, auffallen.

2.) Vorfaltenzone. Sie entwickelt sich auf der NW-Flanke der Balduinsteiner Mulde im Mühlbachtal aus einer Schichtflexur im Übergangsbereich scharf divergierend streichender Schichten. Sie wird durch einen Spezialtrog bedingt. Nach seiner Karte dürfte sie etwa im Gebiet Heidenpütz ihren Ursprung haben.

3.) Faltenfreie Schuppenzone. Weiter im SW bildet sie den unmittelbaren Anschluss an die Balduinsteiner Falte. Sie ist faltungsfrei geblieben und weist nur verkümmerte Klein- und Spezialfalten von lokaler Bedeutung auf. Teil dieser Schuppenzone ist die umstrittene Holzappeler Aufschiebung. HANNAK (1959) verlängert sie am S-Ende von Bergnassau vorbei über den Mühlbach hinweg.

Da die lithologische Untergliederung des Kartiergebietes, mit Ausnahme der Porphyroide wenig Erfolg versprach, wurde großer Wert auf die Erfassung der Lagerungsverhältnisse gelegt. Hierbei ermittelte Strukturen sollten helfen lithologische Einheiten zu verfolgen und damit einen Beitrag zur Stratigraphie zu leisten. Das Engtal des Mühlbachs ist hervorragend aufgeschlossen. So ist es möglich in seinem Verlauf flächendeckend Einblick in die Lagerungsverhältnisse zu gewinnen. Mit Hilfe des Geologenkompasses wurden insgesamt 335 Aufschlüsse eingemessen. Die beigelegten Karten geben Aufschluss über deren Verteilung im Kartiergebiet. Folgende Gefügemerkmale wurden vermessen:

13.2. Die tektonischen Messobjekte

Schichtflächen, ss

Kriterium zur Erkennung einer Schichtfläche ist ein sedimentationsbedingter Materialwechsel. Dieser macht sich durch Änderung der Korngrößenverteilung und/oder durch Farbunterschiede makroskopisch bemerkbar. Durch diese Inhomogenität sind diese Grenzflächen oft als Trennflächen ausgebildet und lassen sich so gut einmessen. Diese Trennflächen können, wie z.B. in plattigen Feinsandsteinen, eben sein; meistens sind sie aber in den hier vorwiegenden, siltigen Gesteinen mehr oder weniger gewellt. Neben primären Ursachen wird dies hauptsächlich durch die zerscherende Wirkung der Schieferung bedingt. In mächtigen, homogenen, pelitischen Partien ist die Schichtung oftmals nur mit Mühe nachzuweisen, manchmal gar nicht. Auch sind manche Partien derart zerschert worden, dass die Schichtung nicht immer sicher angesprochen werden kann. Andrerseits lassen homogene, feinsandige Bänke oft innerhalb einer Bank keinen Materialwechsel erkennen, weisen aber parallel der Bankunter- und -oberseite hervorragend ausgeprägte, charakteristische Trennflächen auf. Diese immer wieder festgestellte Eigenschaft kompetenterer Gesteine wurde auch als Erkennungsmerkmal für Schichtflächen benutzt.

Schieferungsflächen, sf

Fast ausschließlich spitzwinkelig zu den Schichtflächen tritt meistens ein zweites Trennflächensystem auf. Es streicht i.d.R. nahezu gleich zu ss, fällt aber häufig steiler oder flacher ein und wird nicht durch einen Materialwechsel bedingt. In feinkörnigen, inkompetenten Gesteinen ist es engständig, in gröberen, kompetenteren Gesteinen ist es weitständig bis gar nicht ausgebildet. Die Schieferungsflächen sind i.d.R. weniger wellig als die Schichtflächen. Bei Wechsellagerung von inkompetenten mit kompetenten Gesteinen konnte oft die Brechung der Schieferungsflächen an der Grenzfläche, ähnlich wie in der Optik, beobachtet werden. Schieferungsflächen in Fächerstellung traten an einigen aufgeschlossenen Sattelscharnieren unter Beteiligung kompetenter Gesteine auf. Die analoge Meilerstellung bei Muldenscharnieren wurde dagegen nicht beobachtet, da Muldenscharniere so gut wie nicht aufgeschlossen sind. Ganz lokal wurde an zwei Stellen (R 1492 H 7375 und R 1482 H 7349) eine zweischarige Schieferung angetroffen. Die Trennflächensysteme schneiden sich dabei unter kleinen Winkeln wobei das eine Schieferungssysteme parallel zur Schichtung verläuft, das andere spitzwinkelig dazu.

Das Einfallen der Schieferung im Verhältnis zur Schichtung wurde, wenn immer möglich, als Kriterium zur Beurteilung der Lagerungsverhältnisse benutzt: Fällt die Schieferung flacher als die Schichtung ein, so liegt inverse, überkippte Lagerung vor. Im umgekehrten Fall lagern die Schichten normal. Der Sachverhalt konnte häufig durch Sedimentstrukturen verifiziert werden.

Die teilweise hervorragende Ablösefähigkeit der sf wurde im Mühlbachtal durch große, abgerutschte Gesteinsschollen deutlich. Fällt der Hang mit der Schieferung ein und wird durch einen Weg angeschnitten, können bis 100 m² große Schieferungsflächen als Gleitbahn dienen, auf der die darüber liegenden Schichten samt ausgewachsener Bäume auf den Weg rutschen. Stärkere, vorausgehende Regenfälle sorgen für die nötige Bodenüberfeuchtung und lösen so die Rutschungen aus. Schichtflächen scheinen für diesen Vorgang nicht so geeignet zu sein.

Mikroskopisch konnte die scherende Wirkung der Schieferung an gedrehten Feldspateinsprenglingen verifiziert werden (NAGEL 1971). An den Enden solch gedrehter Feldspäte bildeten sich im Druckschatten Serizitschweife, so dass die Drehrichtung deutlich wird.

Runzelungen, ru

Unter Runzelung wird das Linear verstanden, dass durch Schnitt von ss mit sf (delta ss/sf) entsteht. Es macht sich als Linie oder Welle auf Schicht- und Schieferungsflächen oder als Kante zweier, offen dar liegender ss- und sf-Flächen bemerkbar. Um Verwechselungen mit anderen Linearen, zum Beispiel solchen, die durch Schnitt von ss mit Klüften entstehen, zu vermeiden wurde darauf geachtet, dass wirklich ss und sf das Linear bilden. Da dieses Linear ungefähr parallel der Faltenachse verläuft, ist dieses Gefügemerkmal wichtig zur Beurteilung der Faltenachsen. Diese konnten direkt nicht in dem flächendeckenden Ausmaß erfasst werden.

Störungsflächen, st und Harnischstriemung, ha

Störungen treten im Aufschluss als Trennflächen auf, auf denen die angrenzenden Gesteinspakete gegeneinander versetzt wurden. Ehemals zusammenhängende Schichten lassen sich also nicht mehr nahtlos miteinander verbinden. Der Sonderfall, dass dieser Versatz bestimmt werden kann, weil die zusammengehörenden Schichten identifiziert werden können, trat im Kartiergebiet nur zweimal auf. Es ergaben sich jeweils nur unbedeutende Sprunghöhen von 8 bzw. 20 cm. In der Regel konnte die Sprunghöhe aber nicht ermittelt werden. Dies mag zum einen an gleichmäßiger Sedimentation ohne markante Schichten, zum anderen an Sprunghöhen liegen, die die Aufschlussgröße übersteigen. Die Störungsflächen sind meist recht eben und tragen öfters einen Harnisch. Dessen Striemung konnte mehrfach eingemessen und der Bewegungssinn am Harnisch erfühlt werden. So konnte bei vier Störungen der spezielle Typ (Auf-, Abschiebung usw.) näher bestimmt werden: Bei den schon oben erwähnten Störungen mit festgestellter Sprunghöhe handelte es sich um je eine Auf- und eine Abschiebung, wobei die letztere allerdings in Verdacht steht durch Hangrutsch bedingt zu sein. Schräge Auf- und Abschiebungen oder Blattverschiebungen wurden nicht nachgewiesen. So halten sich bei den nachgewiesenen Bewegungsrichtungen Auf- und Abschiebungen die Waage.

Auf zwei Störungserscheinungen wurde eine leichte Mylonitisierung festgestellt. Auffälligste Störungserscheinung ist eine leicht gewellte, söhlig lagernde, maximal 30 cm mächtige Ruschel S Rauschen-Mühle (R 1468 H 7043, Abb. 29). Das total zertrümmerte Gestein wird von Quarz durchsetzt und lässt noch einzelne quarzitische Brocken des ehemaligen Schichtenverbandes erkennen. Die angrenzenden Gesteine wurden entlang dieser Zone geschleppt. Der Versatz lässt sich nicht mit Sicherheit ausmachen, beträgt aber wahrscheinlich nur wenige cm.

Söhlige Ruschel

Abb. 29: Söhlige Ruschel, 100 m S Rausche-Mühle

Eine weitere auffällige Störung betrifft ein Sattelscharnier (R 1504 H 7172). Hier lässt sich gerade noch die Umbiegung eines kompetenten Schichtenstapels vom Hangend- zum Liegendflügel erkennen. Eine sf-parallele Störung schneidet dann aber das Scharnier ab, so dass die Umbiegung zum Liegendflügel im Aufschluss nicht mehr beobachtet werden kann.

Abb. 30 zeigt ein Stereogramm der Störungen. Eingezeichnet ist weiterhin das Maximum der Schichtflächen (ss) und die Gefügekoordinaten a, b und c mit ihren Großkreisen. Zur Konstruktion wurde a = sf-Maximum und b = ru-Maximum benutzt. Die Störungen zeichnen ungefähr den ab-Kreis nach, mit einer leichten Häufung in der Umgebung von a (=sf).

Stereographische Darstellung der Störungen

Abb. 30: Stereographische Darstellung der Störungen

Faltenachsen, B

Ein Großteil der Aufschlüsse im Engtal des Mühlbachs zeigt ungefaltete, nahezu parallele Schichtflächen, die auch zum stark überwiegenden Teil mit ca. 35 Grad nach SE einfallen, so dass auf den ersten Blick der Eindruck eines tektonisch wenig beanspruchten, normal lagernden und nach SE verkippten Schichtenstapels entsteht. Im Laufe der Kartierarbeiten wurden jedoch eine ganze Reihe von Faltenscharnieren gefunden, die die gebirgsbildenden Kräfte in anschaulicher Weise verdeutlichen. Die Größenordnung der Umbiegung geht nicht über den 5 m Bereich hinaus. Zu kleineren Umbiegungsradien treten alle Formen über den Meter- hin zum Dezimeterbereich auf, der sich z.B. an gefältelten Quarzitbändchen in einem Siltschiefer beobachten ließ. Die aufgeschlossenen Scharniere sind zum überwiegenden Teil Sättel, Muldenumbiegungen sind eine Seltenheit.

Die Scharniere machen einen ziemlich isolierten Eindruck in dem sonst tektonisch eintönig gelagerten Schichtpaket. Dieses Phänomen kommt dadurch zum Ausdruck, dass i.d.R. schon wenige Meter vor und nach der Umbiegung nichts mehr auf das Scharnier hindeutet und die Schichten normal lagernd nach SE einfallen. Auch bestehen große Schwierigkeiten einzelne Falten im Streichen zu verfolgen. Faltungsbedingte Wiederholungen von stratigraphischen Einheiten konnte nur einmal und in fast bedeutungslosem Ausmaß an Hand eines Porphyroids nachgewiesen werden. Als Ausnahme dieser Regel des isolierten Vorkommens der Scharniere stehen zwei Aufschlüsse, die mehrere zusammenhängende Sättel und Mulden zeigen und später noch näher erläutert werden.

Auf eine Scheitelüberschiebung, deren Bewegungssinn allerdings nicht nachgewiesen werden konnte, als auch auf lehrbuchhaftes Auftreten von Schieferungsfächern und den verschiedenen Klüften bei Sattelscharnieren wurde schon oben hingewiesen. Auf Verquarzungen, die häufig in Sattelscharnieren zu beobachten sind, wird noch weiter unten eingegangen werden.

Das Umbiegen im Faltenscharnier ist im Kartiergebiet streng mit kompetenten Gesteinen verknüpft, d.h. in den aufgeschlossenen Scharnieren sind immer harte, quarzitische Bänke entweder ausschließlich oder als Teil einer Wechsellagerung mit inkompetenteren Schiefern beteiligt. Diese Tatsache wird in der Literatur als disharmonische Faltung bezeichnet: Die durch Stress bedingte Einengung wird bei kompetenten Gesteinen in Form von Biege-Gleitfaltung, bei den inkompetenten in Form von Zerscherung (Schieferung) kompensiert. Der Umkehrschluss gilt aber nicht. Es sind reichlich kompetente Gesteine vorhanden, die nicht verfaltet wurden.

Klüfte

Um das tektonische Gefügeinventar zu vervollständigen wurden auch eine Reihe von Klüften eingemessen. Diese immer recht ebenen Flächen treten naturgemäß in den kompetenteren Gesteinen ausgeprägter auf als in den inkompetenteren. Neben den einfachen blanken Klüften sind insbesondere großflächige Klüfte öfters mit ca. 1 cm Quarz belegt. Bei einigen Klüften in kompetenteren Feinsandsteinen wurde eine styliolithenähnliche Welligkeit der Kluftfläche beobachtet. Die stereographische Darstellung der Kluftpole (Abb. 31) zeigt ein deutliches Maximum im Bereich des Runzelungsmaximums (= b-Achse => ac-Klüfte). Des weiteren bildet die Verteilung einen gleichmäßig besetzten Gürtel entlang des Außenkreises des Schmidtschen Netzes. Dabei handelt es sich um steile Klüfte, die in jeder Richtung auftreten können.

Kluftpole, Schmidtsches Netz

Abb. 31: Kluftpole. Besetzungsdichte im Schmidtschen Netz


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